Noch ist Winterpause – in einer Woche geht es los mit der Saison 2020. Die Wartezeit bis dahin möchten wir euch mit einer Kolumne von Nürburgring-Historiker Alexander Kraß verkürzen, in der es um die Geschichte des „alten“ Nürburgrings geht, also vom Bau der Strecke bis zur Eröffnung der Grand-Prix-Strecke im Jahr 1984. Seit dem 13. Februar wurde jeden Donnerstag eine neue Epoche behandelt. Nachdem es in der vergangenen Woche um die Sicherheitsdiskussionen von Mitte bis Beginn der 1970er ging, kommen wir heute mit der fünften und letzten Ausgabe der Kolumne in die Zeit zwischen dem Unfall von Niki Lauda und der Eröffnung der Grand-Prix-Strecke.
Teil 4 verpasst? Hier kannst Du alles nachlesen und hier findest du alle Teile der Kolumne in der Übersicht.
Fünf Wochen, fünf Epochen: kleine Geschichte des „alten“ Nürburgrings von Alexander Kraß
Epoche 5: Stunde null und Neustart am Nürburgring
1. August 1976. Die Wiesen und Hänge rund um den Nürburgring sind voll. Der Große Preis von Deutschland steht an, das Fahrerfeld der Formel 1 wartet gespannt auf den Start. Zuvor gab es einiges an Diskussionen: Ein Fahrer aus Österreich, Niki Lauda, hat Stimmung gegen die Nordschleife gemacht. Genau wie einige Fahrer in den Jahren zuvor war seine Meinung gegenüber dem Ring klar: Die Nordschleife ist nicht mehr zeitgemäß, zu unsicher, den überzüchteten, mindestens ebenso unsicheren Boliden der Königsklasse des Motorsports nicht mehr gewachsen. Gefahr droht – am schlimmsten wäre laut Lauda wohl ein Feuerunfall an einer schwer erreichbaren Stelle. Trotzdem startet der Grand Prix des Jahres 1976.
Die Bilder und Aufnahmen kennen Sie sicherlich alle, spätestens seit dem Hollywood-Film „Rush“, in dem es ja um die Saison 1976 in der Formel 1 geht. In der zweiten Runde verliert Lauda in der Kurve vor dem Abschnitt Bergwerk die Kontrolle über sein Fahrzeug, prallt gegen eine Felswand und rutscht zurück auf die Strecke. Warum das dort so heftig ist? Weil die Rennwagen diese Kurve normalerweise mit 240 Sachen „voll“ nehmen. Durch den Aufprall werden Spritleitungen zerrissen, ausgelaufenes Betriebsmittel entzündet sich sofort und Lauda ist in seinem brennenden Wrack eingeklemmt – zudem knallen noch zwei weitere Wagen, die nicht mehr ausweichen können, in den verunfallten Ferrari. Wären die beiden Benzintanks explodiert, hätte es für Lauda keine Rettung mehr gegeben – er hat, wenn man das angesichts der Schwere des Unfalls sagen kann, Glück im Unglück. Er erleidet schwerste Verbrennungen, die man ihm Zeit seines Lebens noch ansehen konnte, ebenso verätzt der Rauch das Innere seiner Lunge. Gefühlte Ewigkeiten sitzt Lauda im brennenden Wrack, bis mutige Kollegen es schließlich schaffen, ihn herauszuziehen. Einer seiner Retter: Arturo Merzario. Hier waren wir also wieder bei dem Schreckensszenario, vor dem er und einige andere Stimmen gewarnt hatten: Feuerunfall an schwer zugänglicher Stelle, lange Rettungswege. Von Breidscheid aus sind die Retter natürlich innerhalb von kürzester Zeit am Bergwerk – für die Fahrt zurück ins Krankenhaus nach Adenau müsste der Rettungswagen jedoch die ganze Strecke bis zum Pflanzgarten zurücklegen, um dort auf die Landstraße zu wechseln und an der Hohen Acht vorbei wieder runter nach Adenau zu fahren. Die Strecke ist blockiert, das Rennen faktisch unterbrochen – Hans-Joachim Stuck hat die Idee, dass der Rettungswagen einfach entgegen der Fahrtrichtung nach Breidscheid zurückfahren könnte und von dort in das Krankenhaus in Adenau – ein Einfall, der viel Zeit gerettet hat. Dass gerade Lauda, der den Nürburgring ja boykottieren wollte, einen solch schlimmen Unfall hat, führte unter den Fans im ersten Moment doch zu Häme, als sie die Nachrichten aus dem Bergwerk hören.
Stunde null am Nürburgring.

Auch wenn der Vertrag der Formel 1 mit dem Nürburgring nach dem Grand Prix 1976 sowieso erst einmal ausgelaufen wäre, war spätestens nach dem Lauda-Unfall klar, dass die Strecke und die Fahrzeuge schlichtweg nicht mehr zusammenpassen würden. Spätestens jetzt hatte auch jeder verstanden, worum es beim Thema Sicherheit am Nürburgring wirklich ging.
Einige bezeichneten fortan Lauda als Totengräber der Formel 1 auf der Nordschleife. Ganz ehrlich: Wie ich es ja schon in der Dokumentation gesagt hatte, kann ich das persönlich so nicht unterschreiben. Lauda war nicht gegen den Nürburgring, sondern gegen die Kombination Nürburgring und Formel 1. Am Ende haben seine Sicherheitsbedenken und seine Bemühungen genauso wie jene von Jackie Stewart dazu geführt, dass Mitte der 1970er Jahre erste Planungen für eine Kurzstrecke am Nürburgring gemacht wurden. Keine Formel 1, keine moderne Arenastrecke, permanente Investitionen in Millionenhöhe ohne langfristiges Ergebnis – das war für den Nürburgring nicht mehr tragbar und so musste einfach eine neue Strecke her, die den modernen Fahrzeugen sowie moderner Rennorganisation gerecht werden konnte.
Kurz gesagt: Bis es zu der Grand-Prix-Strecke kam, die 1984 schlussendlich eröffnet wurde, wurden teils abgefahrene Gedankenspiele präsentiert. Nichtmals vom Nürburgring selbst, sondern von allerhand Hobbyarchitekten, die teils kuriose Ideen hatten. Da war davon die Rede, dass man die Nordschleife abkürzen und zwischen Breidscheid und dem Galgenkopf verbinden könnte oder dass die Strecke einmal um die Burg führen könnte. Eine kürzere Strecke war das Ziel, der Charme der Eifel sollte natürlich erhalten bleiben. Je näher das Ende der 1970er kam, desto konkreter wurden die Pläne. Schlussendlich hatte man sich dazu entschieden, tatsächlich die schon länger nicht mehr für Rennen genutzte Südschleife wegfallen zu lassen und dafür südwestlich von Nürburg eine Kurzstrecke zu bauen. Eigentlich sollte diese Strecke deutlich länger sein als die heutige Grand-Prix-Strecke und eine zweite Boxenanlage beinhalten, aus Kostengründen einigte man sich jedoch auf die letztendlich realisiert Form.
Der Plan stand also – das Projekt musste aber finanziert werden. Zur damaligen Zeit war die Bundesrepublik Deutschland noch Anteilseigner der damaligen Nürburgring GmbH – dem Bund waren die Ausgaben aber viel zu hoch. Abgesehen davon, dass sich die Anteilsverteilung in der Folge änderte, mussten die Gelder aufgetrieben werden. Das und damit der Bau der Grand-Prix-Strecke wäre damals nicht möglich gewesen ohne einen Mann, der schon lange vorher viel für den Motorsport und den Nürburgring getan hatte und sich hier massiv einbrachte: Otto Flimm. 1981 gründete er den Verein „Ja zum Nürburgring“ und warb bei verschiedensten nationalen und internationalen Entscheidungsträgern für den Ausbau und damit den Erhalt des Nürburgrings. Nicht umsonst wurde ihm noch zu Lebzeiten – er verstarb dieses Jahr und was auch bei seiner Beisetzung immer wieder deutlich wurde: Wir Nürburgring-Fans haben diesem Mann viel zu verdanken.

Im Jahr 1981 gingen die Bauarbeiten schon im südlichen Teil der Strecke los – am 30. November erfolgte durch Dr. Bernhard Vogel, damaliger Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, der erste Spatenstich. Die Südschleife fiel also endgültig weg, während die Nordschleife sowie die Start- und Zielschleife noch für die Saison 1982 erhalten blieben. Im Herbst 1982 ging es aber auch dort los: Bis auf das Alte Fahrerlager, die Verwaltungsgebäude, die Haupttribüne und den Conti-Turm fielen alle Gebäude und Anlagen den Baggern zum Opfer. Vielen wird bei diesem Anblick wohl das Herz geblutet haben, waren Start- und Zielhaus, Mercedes-Benz-Presseturm, Dunlop-Turm und all die anderen Bauten doch für viele Jahrzehnte das Gesicht des Nürburgrings. Damit Motorsport auf dem Nürburgring trotzdem weiter möglich sein konnte, wurde für die Saison 1983 eine Kurzanbindung zwischen dem Ausgang der Hohenrain-Schikane und dem Eingang der Hatzenbach gebaut, heute bekannt als Abschnitt T13. Dort waren dann Rennleitung und andere wichtige Stellen untergebracht, ebenso befand sich dort die Boxenanlage, die ja auch heute noch genutzt wird, wenn Rennen ausschließlich auf der Nordschleife stattfinden. Damit verkürzte sich die Nordschleife auf 20,832 Kilometer – alle vorherigen Rekorde waren von nun an also „ewig“ und neue Rekorde konnten gefahren werden. Bekanntermaßen hämmerte Stefan Bellof im Training zum 1000-km-Rennen 1983 auf der verkürzten Nordschleife eine unfassbare 6:11:13 in den Asphalt, eine Zeit, die ja bekanntermaßen bis zur Rekordrunde von Timo Bernhard im Jahr 2018 Bestand hatte. Hier nur eine kleine Randnotiz: Beide Runden wurden nicht während eines Rennens gefahren, sind also keine offiziellen Streckenrekorde im eigentlichen Sinne – trotzdem waren bzw. sind sie schlichtweg die schnellsten jemals gefahrenen Runden auf der Nordschleife und damit trotzdem ein Rekord. Schauen Sie sich die Onboard von Timo Bernhard doch in diesem Zusammenhang noch einmal an, das entsprechende Youtube-Video finden Sie hier. Einfach beeindruckend.

Während die Saison 1983 also nur auf der Nordschleife stattfand, gingen die Bauarbeiten an der neuen Strecke weiter. Die Kosten wurden auf 79 Millionen D-Mark veranschlagt, am Ende kamen die Bauherren mit 82 Millionen D-Mark aus. Weniger als drei Prozent Mehrkosten? Planmäßig fertig? Erzählen Sie das bloß nicht in Berlin, Hamburg oder Stuttgart – es wird Ihnen niemand glauben, dass öffentliche Bauprojekte tatsächlich im Rahmen bleiben können. Das Endergebnis war eine etwas mehr als 4,5 Kilometer lange Strecke – die Mercedes-Arena sowie die Motorradvariante der Veedol-Schikane wurden erst später hinzugefügt.
Die Eröffnung des neuen Nürburgrings erfolgte am 12. Mai 1984. Es wurde viel gefeiert, aber auch viel gefahren: Das erste Rennen auf der neuen Strecke hatte ein absolut hochkarätiges Fahrergeld. Niki Lauda, John Surtees, Phil Hill, Jack Brabham, James Hunt, Stirling Moss, Alain Prost und weitere Formel-1-Größen saßen in baugleichen Mercedes 190E 2.3. Wer das Rennen gewonnen hat? Keiner dieser berühmten Fahrer, sondern ein unbekanntes Talent, das damals niemand so wirklich auf den Zettel hatte. Es war der Brasilianer Ayrton Senna.

Die Formel 1 kehre zumindest für zwei Jahre zum Nürburgring zurück, bekannte und neue Rennserien und Veranstaltungen konnten auf der neugebauten Anlage stattfinden. Die Eifel hatte wieder einen funktionierenden und vor allem sicheren Nürburgring. Was vor allem heute richtig großartig ist: Während auf der Grand-Prix-Strecke Motorsport stattfindet, können sich auf der Nordschleife gleichzeitig die Breitensportler oder die Touristenfahrer austoben. Und in der Müllenbach-Schleife können gleichzeitig die Drifter ihre Reifen verqualmen. Und und und. So viele Möglichkeiten, so flexibel und variabel, das hat weltweit wohl kaum eine andere Rennstrecke.
Mit der Eröffnung der Grand-Prix-Strecke endete die Zeit des „alten Nürburgrings“ und gleichzeitig begann für den Strecke eine neue Zukunft. Das haben wir all denen zu verdanken, die damals nicht nur stumpf gemeckert haben, sondern sich für den Nürburgring eingesetzt haben. Denn ohne die Grand-Prix-Strecke gäbe es heute auch die Nordschleife nicht mehr.
Mir hat es viel Freude gemacht, die Geschichte des „alten Nürburgrings“ für diese Kolumne und damit für Sie zusammenzustellen. Ich hoffe, dass es Ihnen ebenso viel Freude gemacht hat, in den vergangenen fünf Wochen mit mir in die Geschichte des Nürburgrings abzutauchen – für die Zukunft ist geplant, dass ich hier von Zeit zu Zeit Beiträge über historische Themen rund um den Nürburgring veröffentliche. Bis hierhin also vielen Dank für Ihr Interesse!
Diese Kolumne dient(e) auch dazu, Ihnen die Wartezeit bis zum Saisonbeginn zu verkürzen. Noch eine Woche und zwei Tage, dann startet am 21. März der erste Lauf der Langstreckenmeisterschaft am Nürburgring, das Ende des Wartens kommt also näher. Genießen Sie die Vorfreude, vielleicht sehen wir uns ja nächste Woche Samstag am Ring.
Natürlich ist diese Kolumne ein stark komprimierter Blick auf die Geschichte des Nürburgrings. Wenn Sie mehr über die Ursprünge der Eifelrennstrecke erfahren möchten, empfehle ich Ihnen einen Blick auf www.vor90jahren.de. Da vertreibe ich mein gleichnamiges Buch – für einen guten Zweck, da der gesamte Erlös dem Kinderhospiz „Balthasar“ in Olpe/Westfalen zu Gute kommt. Mehr Informationen, auch zur Bestellung, gibt es auf der Website.

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