Noch ist Winterpause – Mitte März geht es mit der Saison 2020 los. Die Wartezeit bis dahin möchten wir euch mit einer Kolumne von Alexander Kraß verkürzen, in der es um die Geschichte des „alten“ Nürburgrings geht, also vom Bau der Strecke bis zur Eröffnung der Grand-Prix-Strecke im Jahr 1984. Jede Woche Donnerstag wird eine neue Epoche behandelt. Nachdem in der vergangenen Woche die Gründerzeit sowie die ersten Jahre des Nürburgrings Thema waren, geht es heute mit der Kolumne „Fünf Wochen – fünf Epochen“ in die Zeit vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg.

Teil 1 verpasst? Hier kannst Du alles nachlesen!

Fünf Wochen, fünf Epochen: kleine Geschichte des „alten“ Nürburgrings von Alexander Kraß

Epoche 2: legendäre Rennen in den 1930ern, Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und der Wiederaufbau des Nürburgrings bis zum 25. Geburtstag der Strecke

Wie große Teile der Welt litt auch Deutschland – und somit auch Motorsport-Deutschland – unter den Folgen der Weltwirtschaftskrise ab 1929. Zuschauer blieben aus, Werke fuhren ihr Motorsportengagement zurück und so rutschte auch der noch junge Nürburgring in eine tiefe Krise. Im Januar 1933 kamen die Nationalsozialisten in Deutschland an die Macht und versprachen der Automobilindustrie große Fördergelder für den Motorsport. Mercedes-Benz und die im Vorjahr aus den Marken Audi, DKW, Horch und Wanderer gegründete Auto-Union begannen, Rennwagen nach der für 1934 geplanten 750-Kilogramm-Formel zu bauen. Diese „Gewichtsformel“ besagte, dass das Fahrzeug ohne Fahrer, Reifen und Betriebsmittel nicht mehr als 750 Kilogramm wiegen durfte. Wir kommen nun also in die Zeit der „Silberpfeile“ – durch die Legende, dass dieser Name beim Eifelrennen 1934 durch das Abkratzen des Lacks bei den Mercedes entstanden sein soll, ist dieser Begriff für immer mit dem Nürburgring und dem Eifelrennen verbunden.

Mercedes-Benz konstruierte den W25, das 1931 gegründete Konstruktionsbüro Porsche baute den Auto Union Typ A, die dann beide ab 1934 in Großen Preisen rund um die Welt eingesetzt wurden. So auch am Nürburgring, wo das Eifelrennen und der Große Preis von diesen Fahrzeugen bestritten wurden. Es begann eine Zeit der legendären Rennschlachten auf großartigen Fahrzeugen, die von Fahrern gelenkt wurden, deren Namen auch heute noch weltberühmt sind: Rudolf Caracciola, Hans Stuck, Hermann Lang, Richard Seaman, Bernd Rosemeyer, Tazio Nuvolari und weitere Namen sind es, die wir auch heute noch kennen, die in den 1930ern Zehntausende in die Eifel lockten und die wir mit großartigen und legendären Rennen auf dem Nürburgring verbinden. Mercedes-Benz fuhr den W25 in den Jahren 1934 bis 1937 und ersetzte diesen 1937 durch den W125 – Auto Union entwickelte den Typ A für 1935 zum Typ B weiter und fuhr dann in den Jahren 1936 und 1937 mit dem Typ C, der für viele Motorsportfreunde als einer der schönsten jemals gebauten Rennwagen gilt. Wenn Sie sich einen solchen Typ C einmal in natura ansehen möchten, empfehle ich Ihnen einen Besuch des Verkehrszentrums des Deutschen Museums in München!

Auto Union Typ C
Auto Union Typ C im Deutschen Museum | Foto: Alexander Kraß

Sehen wir uns anhand dieses Typ C doch einmal die Rennbedingungen der damaligen Zeit an. Die Fahrzeuge wogen ohne Fahrer, Reifen und Betriebsmittel knapp 750 Kilogramm, der sechs-Liter-Sechszehnzylinder mit absolut brachialem Sound leistete über 500 PS. Leistungsdaten? Top. Jetzt mal zur Konstruktion: Leiterrohrrahmen mit einer Außenhaut, die aus weniger als einem Millimeter dickem Aluminium bestand. Aufbau des Fahrzeugs von vorne nach hinten: Kühler, Lenkrad, Fahrer, 200-Liter-Tank, Motor, Differential, Getriebe. Sitzposition? Aufrecht, ebenso das Lenkrad. Gurte? Fehlanzeige. Sicherheitseinrichtungen? Keine. Räder? Da sind die meisten Winterreifen heute deutlich breiter. Alles in allem aus heutiger Sicht absolut unvorstellbare Arbeitsbedingungen für die Fahrer!

Da bei den Auto Union der Motor hinter dem Fahrer eingebaut war, während er bei Mercedes-Benz vor dem Fahrer positioniert war, waren die Typen A bis D unheimlich schwer zu fahrende, vor Kraft nur so strotzende Heckschleudern, die nur von wirklichen Könnern beherrscht werden konnten. Einer davon und wohl der legendärste Fahrer der damaligen Zeit: der noch junge Bernd Rosemeyer. Sein erfolgreichstes Jahr auf dem Nürburgring war 1936, als er beide großen Rennen auf dem Nürburgring gewann. Besonders zu seinem Ruhm beigetragen hatte das Eifelrennen 1936, bei dem er im dichten Nebel mit haushohem Vorsprung gewann und sich den Beinamen „Nebelmeister“ verdiente. Aber auch die anderen Rennen, die in den Jahren zwischen 1934 und 1939 auf dem Nürburgring ausgetragen wurden, sind heute legendär, vor allem, weil zur damaligen Zeit irrwitzige Geschwindigkeiten auf dem Nürburgring gefahren wurden – schließlich waren die Rennwagen über 320 Kilometer pro Stunde schnell. Natürlich waren diese Rennen für die Fahrer unheimlich gefährlich, und so starb beispielsweise Ernst von Delius bei einer Kollision mit Richard Seaman auf der Döttinger Höhe.

Auto Union Typ C
Arbeitsplatz eines GP-Rennfahrers in den 1930er Jahren | Foto: Alexander Kraß

1938 wurde die Gewichtsformel dann zu einer Literformel, indem der Hubraum der Motoren begrenzt wurde – 4,5 Liter für Saugmotoren und 3 Liter für Kompressormotoren. Auto Union baute hierfür den Typ D, Mercedes-Benz konstruierte den W154. Bernd Rosemeyer hat diese Zeit allerdings nicht mehr miterlebt, da er am 28. Januar 1938 auf der heutigen A5 zwischen Frankfurt und Darmstadt bei Rekordfahrten von einer Windböe erfasst wurde und sich bei über 400 Stundenkilometern überschlug und sofort tot war.

Die politische Situation hatte sich in dieser Zeit schon so angespannt, dass vielen Menschen klar wurde, dass ein Krieg bevorstehen musste. So kam es auch dann am 1. September 1939, als das Deutsche Reich Polen überfiel und damit einen Krieg begann, der sich später zu einem zweiten Weltkrieg ausweiten sollte. Weite Teile Europas und der Welt standen in Flammen, dutzende Millionen Menschen starben, in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten wurden unschuldigen Menschen unbeschreiblich grausame Verbrechen angetan und Millionen von Menschen wurden ermordet. Dieser Krieg hatte eine Zerstörungskraft, die man vorher noch nie gesehen hatte.

Während die Welt brannte, kehrte am Nürburgring schnell Ruhe ein. Zwar gab es einige Testfahrten, unter anderem von Auto Union, Motorsport fand aber natürlich nicht mehr auf der Strecke statt. Dafür kamen in den ersten Kriegsjahren immer wieder Sommergäste in das Sporthotel „Tribüne“, welches später zu einem Lazarett wurde. Der Nürburgring verfiel, finanzielle Mittel und auch die Mitarbeiter fehlten, um die Strecke über die Kriegsjahre in Schuss zu halten. Bis dahin war es jedoch noch recht ruhig in der Eifel – die einzige Gefahr für die Menschen kam aus der Luft, als nämlich auch Städte wie Adenau von den Alliierten bombardiert wurden. Die Wende im Krieg kam mit der Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944. Von dort aus zogen die alliierten Streitkräfte über Nordfrankreich, Luxemburg und Belgien in Richtung des Rheins und kamen am 8. März 1945 auch am Nürburgring an. In Müllenbach fuhren amerikanische Panzer auf die Südschleife und kamen über beide Fahrtrichtungen an Start und Ziel an, wo es zu einer kurzen Auseinandersetzung mit deutschen Soldaten gekommen sein soll. Natürlich sind die Ketten eines Panzers, der rund 35 Tonnen wiegt, nicht mit den Gummireifen eines 1000-Kilogramm-Rennwagens vergleichbar und so nahm der Streckenbelag natürlich einiges an Schaden. In den beiden Monaten bis zum Kriegsende kamen noch teils erhebliche Schäden an Gebäuden und Einrichtungen hinzu. Den Menschen in der Region war dies verständlicherweise egal – sie waren natürlich einfach froh, dass dieser schreckliche Krieg zumindest für sie ein Ende gefunden hatte.

Normandie-Strand
Damals Schauplatz eines grausigen Krieges: Strand in der Normandie | Foto: Alexander Kraß

Nach dem Krieg lag der Nürburgring also verfallen und zerstört in den Eifelwäldern. Gebüsche ragten über die Strecke, der Streckenbelag war aufgerissen, Gebäude zerstört, Einrichtung entwendet, Infrastruktur unbrauchbar. Viele Stimmen wurden laut, die besagten, dass es einfach nicht mehr lohnen würde, den Nürburgring wieder aufzubauen.

Doch die französische Militärregierung, nach der Legende dazu überredet von Louis Chiron, ließ im Frühjahr 1947 – im Jahr des 20. Geburtstags der Strecke – die Südschleife für ein Rennen im August 1948 wieder herrichten. Der „Speiseplan“ dieses Rennens ist heute noch vielen Freunden des Nürburgrings bekannt: Zur Eintrittskarte gab es einen Verzehrbon über Brötchen, Wurst, Kartoffelsalat und ein Glas Wein dazu. Nach den langen Jahren der Entbehrungen und des Leids natürlich ein willkommenes Geschenk und so kamen wieder Tausende zum Nürburgring. Mit dem eingenommenen Geld und weiteren Subventionen wurde dann 1948 auch die Nordschleife wieder aufgebaut, sodass im Jahr 1949 der gesamte Nürburgring wieder voll funktionsfähig war. Natürlich ging es bei diesem Wiederaufbau nicht um nostalgische Liebe zu einer Rennstrecke, sondern einfach darum, dass ein funktionierender Nürburgring der Region helfen würde, sich nach dem Krieg selbst wieder auf die Beine zu stellen – der Nürburgring wurde nach 1927 wieder zum wirtschaftlichen Herz der Eifel. Und so kam es, dass die Region um den Nürburgring schon wenige Jahre nach dem Krieg wieder an eine Zukunft denken konnte und sich wieder Leben am Nürburgring entwickelte.

Natürlich litten noch alle Automobilhersteller unter den Folgen des Krieges und an ein direktes Anknüpfen an die Zeiten vor 1939 war erst einmal nicht zu denken. Doch schon 1950 kam in der internationalen Motorsportwelt eine neue Rennserie auf, die heute als die Königsklasse des Motorsports gilt: die Formel 1. Ab 1951 fuhr diese neu gegründete Weltmeisterschaft, die im Prinzip eine Fortführung der Vorkriegs-Europameisterschaft war, dann auch in der Eifel.

Nürburg
Die Nürburg hat schon viel Geschichte erlebt | Foto: Alexander Kraß

1952 konnte der Nürburgring dann auch mit positivem Blick in die Zukunft das 25. Jubiläum der Eröffnung der Strecke feiern. In den folgenden Jahren sollten auf dem Nürburgring tolle Rennen stattfinden, jedoch sollten heftige Unfälle auf anderen Rennstrecken in Europa aber auch unmittelbare Auswirkungen auf den Sport am Nürburgring haben.

Die Zeit des Motorsports in der Eifel während des „deutschen Wirtschaftswunders“ werden wir uns in der kommenden Woche genauer ansehen – bis dahin werden es dann auch wieder sieben Tage weniger bis zum Start der Saison 2020 sein. Der 21. März kommt näher!

Natürlich ist diese Kolumne ein stark komprimierter Blick auf die Geschichte des Nürburgrings. Wenn Sie mehr über die Ursprünge der Eifelrennstrecke erfahren möchten, empfehle ich Ihnen einen Blick auf www.vor90jahren.de. Da vertreibe ich mein gleichnamiges Buch – für einen guten Zweck, da der gesamte Erlös dem Kinderhospiz „Balthasar“ in Olpe/Westfalen zu Gute kommt. Mehr Informationen, auch zur Bestellung, gibt es auf der Website.

Buch "Vor 90 Jahren"
Buch „Vor 90 Jahren“ | Foto: Alexander Kraß

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Dieser Beitrag wurde von verfasst.

Spätestens seit er 2017 mit „Vor 90 Jahren“ sein erstes Buch über die Gründerzeit des Nürburgrings herausgegeben hat, ist der 36jährige Alexander Kraß am Nürburgring bekannt wie ein bunter Hund. Der Ringhistoriker schreibt allerdings nicht nur, sondern ist am Nürburgring und deutschlandweit auch als Moderator unterwegs und hält Vorträge. Mehr über seine Person, seine Moderationstätigkeiten und seine Vorträge gibt es auf www.alexkrass.de.
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