Der VLN-Meister 2012 war kurz davor, seine Rennfahrerkarriere an den Nagel zu hängen. Doch es juckte ihm zu sehr in den Füßen, als das er einfach auf der Couch seine Freizeit genießen könnte. Wir haben Ulli Andree zum Interview getroffen.

Mit 46 Siegen und 65 Podiumsplätzen kann Ulli Andree bereits auf einige Erfolge zurückblicken. Mit dem Gesamtsieg 2012 in der VLN setzte sich Adnree jedoch ein besonderen Krönchen auf. Wir nutzten die freie Zeit der vergnagenen Tage und haben Ulli zu einem kleinen Interview getroffen.
Die VLN-Fans kennen Dich als Gesamtsieger der VLN 2012. Das ist nun lange her und Du überlegtest sogar Dich zur Ruhe zu setzen. Wie verlief Deine Saison 2017? Wo warst Du unterwegs?
Der VLN-Titel 2012 war für mich ein extrem wichtiger, persönlicher Erfolg. Ich war in 2004 mit Mühlner Motorsport als Solo-Fahrer im Volvo S60 schon einmal ganz dicht dran, hatte die meisten Nordschleifen-Siege der gesamten Saison auf meinem Konto und wurde dennoch „nur“ Zweiter hinter einem Team aus der Serienwagenklasse. Dort standen zwar nur drei Klassensiege gegen meine acht zu Buche, aber die höhere Teilnehmerzahl in dieser Kategorie gab letztlich den Ausschlag – aber genau das ist halt VLN, viel Feind, viel Ehr‘. Ich hatte also noch eine Rechnung offen und Dank LMS Engineering konnte ich dieses Kapitel 2012 schließen. Ich habe dann tatsächlich aus privaten und beruflichen Gründen den Gedanken durchgespielt, den Helm an den Nagel zu hängen, wollte mir dann aber nicht nehmen lassen, 2013 mit der Startnummer 1 anzutreten. Hätte ich aufgehört, hätte ich zudem die tolle Zeit im LMS-Audi TTRS2 verpasst, mit dem ich zusammen mit wechselnden Partnern zahlreiche Erfolge einfahren konnte – die Krönung war der 24h-SP3T-Sieg 2017 gegen drei Werksteams.
2012 war zudem meine letzte volle Saison in einer Meisterschaft, seit dem suche ich mir gerne schöne Veranstaltungen auf tollen Strecken aus – natürlich zählt mindestens einmal im Jahr die Nordschleife dazu, aber ich wollte unbedingt auch die Le Mans Classic fahren, was ich 2016 im BMW 3,5 CSL von Heribert Werginz sehr genossen habe. Zudem bin ich seit 2014 immer wieder gerne in der Creventic-Serie dabei und teste immer wieder auch für LMS Engineering.

Rein organisatorisch beginnt es damit, dass wir in der VLN die Veranstaltungen an nur einem Tag bestreiten könnten, da ja Qualifying und Rennen jeweils samstags stattfinden. Zudem reden wir in der VLN von acht 4h- und einem 6h-Rennen, während in der Creventic zwölf oder 24 Stunden gefahren werden. Auch die Klasseneinteilung ist anders: Wir fuhren mit dem LMS-Audi TTRS2 in der Creventic in einer sogenannten Klasse SP2T, in der auch diverse Cup-Porsche und bärenstarke Sechszylinder- und V8-Silhouetten-Fahrzeuge antreten. Der für mich als Fahrer aber wichtigste und auch schönste Unterschied ist: Während mein TTRS2 in der VLN mittlerweile mit 80 kg Ballast und einem 39 mm Air-Restrictor versehen werden muss, können wir in der Creventic ohne Zusatzgewicht und offen fahren.
Warum wir in der VLN inzwischen quasi einen ausgewachsenen Mann als Ballast mitnehmen müssen, wird wohl immer ein Geheimnis der technischen Kommission bleiben. Vielleicht waren wir gleich beim ersten Auftritt mit dem TTRS2 in 2013 zu schnell – wenn wir uns in diesem Rennen nicht dieses eine Mal mit der Reifenwahl vertan hätten, hätten wir wohl auf dem Gesamtpodium gestanden. Und vieleicht hätte genau das der heiligen GT3-Kuh nicht so gut gefallen – aber Konjunktive gibt es im Rennsport nun mal nicht und es ist, wie es ist. Fakt ist auf jeden Fall, dass wir aufgrund des Regens und der gerade bei Nässe relativ guten Fahrbarkeit des TTRS2 so weit vorne waren.
Leider können wir dafür in der Creventic nicht meinen geliebten Dunlop-Reifen fahren, da dort Hankook der Alleinausrüster ist. Dennoch sind wir dort immer gut unterwegs gewesen. Beim 12h-Rennen in Zandvoort 2016 zum Beispiel haben wir neben dem Klassensieg noch P9 im Gesamtklassement geholt, obwohl wir uns nach einem Defekt einer Zapfsäule einen Rückstand von zwei Runden eingehandelt hatten. Gegen die GT3s – in der Creventic stört das aber niemanden.
Ein weiterer Unterschied zur VLN ist, dass wir uns in der Creventic-Serie eine Minimal-Rundenzeit setzen mussten, die wir nicht unterschreiten durften. Die vom Veranstalter vorgegebenen Rundenzeiten waren gestaffelt – je schneller man fahren wollte, desto weniger Tankvolumen gab es. Dieses System wird für 2018 allerdings aufgehoben. Außerdem sind natürlich die Strecken ganz andere: Mugello, Imola, Zandvoort, um nur einige zu nennen. 2017 ist auch COTA hinzugekommen, wo ich allerdings nicht angetreten bin, und 2018 freue ich mich auf Spa. Aufgrund der Spezifika der Nordschleife im Vergleich zu den kürzeren Kursen in der Creventic wird auch Code 60 anders gehandhabt. In der Eifel gilt dieser je nach Schwere des Zwischenfalls abschnittsweise, in der Creventic gilt Code 60 für den gesamten Kurs.
Wenn ich mich nun zwischen beiden Rennserien entscheiden müsste, hätte ich ein Problem, da ich beide sehr gerne mag und jede ihren speziellen Reiz hat. Bei meiner derzeitigen Herangehensweise an den Rennsport – sprich: „Ich suche mir schöne Veranstaltungen heraus und fahre dort, wo es mir Spaß macht“ versus „Ich fahre eine komplette Meisterschaft“ – ist der Mix verschiedener Serien und Events das Richtige für mich. Wenn sich aber morgen jemand entschließt, mich für eine komplette Serie zu engagieren, sage ich natürlich nicht nein.

Ich hatte das große Glück, für den Motorsport kein Geld ausgeben zu müssen, weil immer Gönner und Sponsoren hinter mir standen – denen willst Du natürlich auch etwas zurückgeben und so haben sich immer wieder interessante Projekte ergeben, die mich vom Rücktritt haben zurücktreten lassen. Dazu gehören die Gastauftritte in der Creventic ebenso wie mein eigentlicher Lieblingsevent auf der Nordschleife, das 6h-Rennen. Diese Veranstaltung war immer irgendwie gut zu mir: Hier habe ich mein aller erstes VLN-Rennen bestritten und mit P3 in der damals extrem hart umkämpften Gruppe A bis zwei Liter auch ganz passabel beendet. Später kamen diverse Klassensiege dazu, wobei der kurioseste wohl derjenige in meinem Vizemeister-Jahr 2004 im Mühlner-Volvo S60 war.
Ich bin damals ja bis auf zwei Rennen die gesamte VLN alleine gefahren. In Lauf eins hatte mich Bernhard Mühlner mit Kurt Thiim zusammengespannt und beim 6h-Rennen durfte ich reglementbedingt nicht alleine fahren. Also sollte mich Andy Middendorf unterstützen. Der stand dann aber um 5.00 Uhr morgens aus der Dusche kommend vor meinem Bett und keuchte, er habe Fieber und könne nicht fahren – und genauso sah er auch aus. Ich habe dann – um fünf wohlgemerkt – versucht, den tief schlafenden Jörg Seidel (Ex-VW-Werksfahrer) aus dem Bett zu klingeln, aber der hatte sein Telefon aus. Es war ja Wochenende und er hatte keinen geplanten Drive. Nicht mal stand-by. Also habe ich seinen Vater Peter angerufen, der in der Nachbarschaft wohnte, prompt abnahm und dann seinen Sohnemann weckte. Jörg meinte, das lief ungefähr so: „Jung! Wenn Du noch einmal Dein Telefon ausstellst, is‘ wat los – zieh Dich an, fahr zum Ring, der Ulli braucht Dich. Und guten Morgen erstmal…“ Langer Rede kurzer Sinn: Jörg und ich haben unsere Klasse gewonnen und Walter Röhrl hat später gratuliert – dafür kann man auch um 5.00 Uhr aufstehen.<(p>
Aber auch die Ausflüge in den historischen Bereich, wo ich Rennwagen steuern durfte, die ich als Kind und Jugendlicher nur aus der Ferne bewundern konnte, haben mir sehr gefallen. In einem BMW 3,5 CSL von Heribert Werginz die Le Mans Classic zu fahren, war ein Erlebnis für sich, genauso wie Jürg Dürigs Gruppe 2 Eggenberger-BMW 635 CSI, der 1981 die Tourenwagen-Europameisterschaft holte. Den Sound-Track, den die BMW-Reihensechser spielen, treibt Dir immer wieder Schauer über den Rücken. Eher einen Tritt in den Rücken hat mir der Kremer-Porsche 935 K3 verpasst, den ich 2013 auf dem Grand Prix-Kurs fahren durfte. Wenn dessen 800 Pferde antraten, wurde die Zielgerade doch merklich kürzer als sonst. Aber ich kam sofort gut klar mit dem Boliden und bin bis heute geflasht aber vor allem dankbar, dass ich den K3 bewegen durfte.
All das und noch viel mehr sind für mich Erlebnisse, die vor mich den Motorsport ausmachen, und die ich mir noch in den 90ern nicht hätte vorstellen können – da stand ich noch als Fan an der Nordschleife hinter der Leitplanke und wollte nur ein einziges Mal mitfahren. Fakt ist aber auch: Bleiben die Sponsorenunterstützungen oder Fahraufträge irgendwann aus – und der Tag wird für jeden einmal kommen -, fahre ich nicht mehr. Dann treffe ich mich am Ring mit Olli Martini und führe mit ihm Benzingespräche.
Was wäre noch ein Ziel, welches Du erreichen möchtest?
Wie schon eingangs gesagt: Sollte ich nochmals in einem guten Auto auf eine komplette Meisterschaft angesetzt werden, bin ich der Letzte, der ablehnt. Grundsätzlich jedoch möchte ich den Rennsport auch genießen. Das heißt nicht, dass ich nicht mehr gewinnen will, im Gegenteil: Wenn ich irgendwo am Start stehe, will ich auch nach vorne. Das heißt aber, dass ich mir gerne Veranstaltungen aussuche, bei denen ich mich wohlfühle oder die auf für mich attraktiven bzw. gerne auch neuen Strecken stattfinden. Spa wäre ja für 2018 in der Creventic möglich. Nach wie vor offen ist auch ein GT3-Auftritt. Ich war 2016 sehr nah dran, also schaue ich, was sich noch ergeben könnte. Auch attraktiv finde ich die neue Generation der 2018 startenden GT4, denn das wird eine packende Kategorie mit tollen Autos. Ich würde jedoch auch gerne wieder im historischen Sport dabei sein, etwa in der Tourenwagen Classics. Mein absoluter Traum – und träumen darf man ja – wäre allerdings eine Ausfahrt in einem Porsche 956 oder 962C. Ich schaue mir heute noch regelmäßig Videos aus der Gruppe C-Zeit an und bin noch immer fasziniert. Die Formel 1 hatte mich stets nur am Rande interessiert, die Krönung im Rennsport waren für mich schon immer die Sportwagen.

Ich habe dafür kein Patentrezept. Ich muss jedoch leider sagen, dass mich einige Entwicklung erschrecken. Kommen wir zurück zur Formel 1 – durch das Reglement, die Penalties und Track Limits, Spurwechsel-/Überholregeln etc. blickt doch bald niemand mehr durch. Oder anders gesagt: Ich persönlich will gar nicht mehr durchblicken. Wenn ich Arcade-Rennen mit Extra-Boost haben möchte, hole ich mir ein altes Computer-Spiel aus dem Keller. Dasselbe gilt für mich für die Formel E: Da konnte der Fan per Mausklick bestimmen, welcher Fahrer fürs zweite Rennen Zusatz-Power bekommt. Was hat das denn mit dem sportlichen Wettbewerb an sich zu tun? Ich verstehe den Hintergrund natürlich, die Zuschauer sollen engaged werden, wie es heute so schön heißt. Das Gute an der Formel E ist allerdings, dass sie die Technologien für elektrisch betriebene Straßenfahrzeuge vorantreiben wird. Es war immer eine der Rollen des Rennsports, Technologien in kürzester Zeit einsatzreif zu entwickeln, siehe elektronisches Motormanagement, ABS, Doppelkupplungsgetriebe etc., und das wird hier auch so sein. Gerade im Bereich E-Auto ist das allerdings auch bitter nötig, denn das halte ich nach heutigem Stand der Dinge höchstens für eine von mehreren Alternativen, nicht aber für den Ersatz eines effizienten, modernen Verbrennungsmotors, wie uns politisch derzeit gerne weisgemacht wird.
Um es kurz zu machen: Der Rennsport sollte meines Erachtens nach deutlich vereinfacht werden. Die Reglements sind heute häufig wie das deutsche Steuersystem: Viel zu kompliziert und voller Ausnahmeregelungen sowie Zusatzparagraphen. Ich mag außerdem keinen Erfolgsballast und keine primär dominante Aerodynamik, wenn Sie dichtes Auffahren und Überholen verhindert. DRS-Systeme sind für mich eher unerfreuliche Behelfskrücken. „Mechanischer Grip hoch, Aero-Grip runter“ war stets mein Credo. Auch die Kosten müssen runter. Marco Werner sagte neulich, er halte es für sehr bedenklich, wenn die Kids sich heute den Einstieg in den Rennsport nicht mehr leisten könnten. Marco hat den Führerschein kaum in der Hand gehabt und war im nächsten Moment auf der Strecke – wenn heute der solvente elterliche Hintergrund nicht stimmt, klappt das nur noch in Ausnahmefällen und unter größten finanziellen Einbußen und Risiken.
Ein guter Ansatz in Sachen Kostenreduktion ist das TCR-Reglement. Diese Fahrzeuge werden auch die aktuelle WTCC-Generation ablösen – die TCR-Autos sind optisch genauso attraktiv, kosten einen Bruchteil und die Markenvielfalt ist enorm. Jetzt soll noch der Einsatz eines vernünftigen Diffs beschlossen werden und dann sollten die TCRs viel Spaß für vergleichsweise geringes Budget bieten. Essenziell ist jedoch, die Kosteneskalation „Year over Year“ von Beginn an zu unterbinden, sonst werden wir uns in fünf Jahren wieder dieselbe Frage stellen: „Was jetzt?“ Das gilt für mich übrigens auch im Ping-Pong GT3 vs. GT4.

Wo wir gerade über die TCR sprachen – finde ich das Thema Einheitsreifen nicht schön gelöst. Bezüglich der Competition ist einheitliches Material durchaus OK, da möchte ich bitte nicht missverstanden werden. Aber die qualitative Umsetzung beispielsweise des in der VLN in der TCR-Klasse 2017 vorgeschriebenen Reifens war suboptimal. Die Folge war, dass mir persönlich bekannte Teamchefs beklagten, einige Fahrer wollten nicht mehr antreten. Dies klingt zunächst einmal merkwürdig. Hält man sich jedoch vor Augen, dass die meisten Piloten nicht unerhebliche Summen entrichten müssen, um fahren zu dürfen, dann kann ich sehr gut verstehen, dass diese Gentlemen-Drivers auch Spaß für ihr Geld geboten bekommen wollen. Der Spaß bleibt allerdings im wahrsten Sinne des Wortes auf der Strecke, wenn ich in einem Acht-Runden-Turn auf der Nordschleife zu keinem Zeitpunkt angreifen kann, weil ich den von Runde zu Runde zu Runde immer weiter nachlassenden Reifen über die Distanz bringen muss. Ein Rennreifen nach meinem Geschmack hat einen Peak, dann einen Drop und dann steht er für den Rest des Turns. Das muss auch mit einem Einheitsreifen gehen.
Was die Strecken und Auslaufzonen angeht, so bin ich nicht umsonst ein Fan der Nordschleife, von Mugello, Bathurst, Laguna Seca und anderen Naturstrecken: Ein Ausrutscher durch zu hohes Risiko oder das sogenannte Track-Limit-Überschreiten muss quasi per Design der Strecke so große Folgen nach sich ziehen, dass sich jedwede Bestrafung durch die Kommissare von selbst erübrigt.
Wie sieht Deine Saison 2018 aus?
Daran arbeite ich gerade gemeinsam mit meiner Stammmannschaft von LMS. Wir haben viele gute Ideen; ob diese sich alle umsetzen lassen, ist eine andere Frage. In unserem Wunschprogramm spielt die Nordschleife dabei sicher eine Rolle, der gute alte TTRS2 allerdings eher nicht mehr.
In eigener Sache:
Du hast den Beitrag bis zum Schluss gelesen? Hat er Dir gefallen? Wenn Du die LSR-Freun.de unterstützen möchtest, kannst Du das mit einem Abonnement bei SteadyHQ tun.
Damit hilfst Du uns, auch in Zukunft erstklassige Berichte, Dokumentationen und Reportagen aus der Welt der Langstreckenrennen zu erarbeiten und zu erstellen.

Die LSR-Freun.de sagen Danke!