Spannend und informativ war schon der erste Teil des Interviews mit Alexander Kraß. Heute führen wir dies fort und er wird den Leserinnen und Lesern noch eine schöne Ankündigung machen.
Im ersten Teil des Interviews hatten wir unter anderem über die verschiedenen Epochen des Nürburgrings gesprochen, kommen wir mal zur Gegenwart. Über das „Heute“ gibt es aber manchmal unterschiedliche Auffassungen und Ansichten – da gibt es ja immer wieder Diskussionen im Motorsport.
Das stimmt. Und die Themen, die wir heute haben, gab es vielleicht in anderen Epochen auf eine andere Weise auch schon, als Beispiel der Aufschrei um die fünf-Prozent-Reduzierung der Top-Klassen in der VLN zu Beginn der Saison 2019. Solche Themen gab es schon, und die wurden auch emotional diskutiert, und dieser Gedanke kann uns einfach helfen, solche Diskussionen möglichst sachlich anzugehen, weil es da um etwas Größeres geht. An sich sind solche emotionalen Diskussionen ja auch gut, weil es zeigt, dass es jedem um etwas geht, das darf nur leider nicht ausarten, wie es mittlerweile teilweise passiert. Da geht dann oft der Kern der Diskussion verloren und das ist kontraproduktiv.
Warum wird sowas immer gleich emotional diskutiert? Warum wird da oft mit Boykott gedroht?
Spontan gesagt liegt das aus meiner Sicht daran, dass der Nürburgring etwas sehr Persönliches für jeden Einzelnen ist. Da werden dann Einzelthemen zum Ausdruck einer persönlichen Auseinandersetzung mit etwas, was einem am Herzen liegt – und das ist ja an sich auch ein gutes Zeichen, dass sich die Menschen mit dem Nürburgring identifizieren und da emotional herangehen. Leider gibt es bei vielen Äußerungen nur schwarz oder weiß beziehungsweise nur dafür oder dagegen, aber keine Differenzierung in einem Thema. Da wäre etwas mehr Ausgeglichenheit manchmal wünschenswert, damit das nicht so hochkocht.
Was meinst du mit der persönlichen Auseinandersetzung?
Durch die persönliche Auseinandersetzung mit Themen wächst eine Beziehung – zum Partner, zum Hobby, zum Beruf, zu vielen Dingen. Der Nürburgring ist ja keine Versicherungsgesellschaft oder ein Supermarkt, sondern etwas, zu dem jeder Fan eben diese sehr persönliche Beziehung aufbaut. Ich würde den Nürburgring nicht als Anhänger um den Hals tragen, wenn es mir persönlich nicht wichtig wäre. Und dazu gehört dann eben auch die emotionale Auseinandersetzung. Wenn dann allerdings nicht differenziert und im großen Ganzen gedacht wird, dann wird viel Energie auf Nebenkriegsschauplätzen verpulvert und die Lösung der Sache an sich geht verloren. Aber an sich ist diese Auseinandersetzung mit einem Thema ja sehr gut, weil es Dinge in die richtige Perspektive rückt und sie einfach „menschlich“ macht.
Bleiben wir mal beim Thema „Faszination Nürburgring“. Hat die Nordschleife eigentlich noch viel mit der „Ur-Strecke“ von damals zu tun?

Da gibt’s ganz verschiedene Aspekte zu beachten. Was die reine Fahrbahn angeht, war das für die damalige Zeit eine sehr gute Strecke, aus heutiger Sicht könnten wir das nicht mit aktuellen Straßen vergleichen. Dabei geht es nicht mal um die Qualität der Fahrbahn, sondern die ganzen Unebenheiten, Bodenwellen, Neigungen und so weiter. Ein moderner Rennwagen könnte auf dieser alten Strecke nicht mehr fahren. Über die Jahrzehnte wurden dann Kurven umgebaut, Unebenheiten und Bodenwellen angepasst, Kuppen entfernt und viele weitere Anpassungen vorgenommen – da sind die Änderungen, die sich heute aus Modernisierungen an der Strecke ergeben, absolut zu vernachlässigen und nicht vergleichbar. Damals, also bis in die 1960er oder sogar 1970er, gab es kaum Sicherheitseinrichtungen. Da führte die Strecke durch den Wald und nach dem berühmten Motto „Hecke auf – Hecke zu“ gab es keine wirkliche Streckenbegrenzung. Da hat sich natürlich sehr viel getan. Was am Ende aber gleichgeblieben ist, und darauf kommt es ja schlussendlich an, ist die Streckenführung an sich. Die ist, bis auf den Bau der Hohenrain-Schikane 1967, im Prinzip gleichgeblieben.
Das betrifft die Strecke an sich – wie hat sich das „auf der Strecke“ verändert?
Auf der Strecke hat sich natürlich etwas verändert, nämlich die Fahrzeuge, die darauf fahren. Früher waren es Formel-Rennwagen, heute sind es mehr Tourenwagen und GT3s, die das Bild auf der Nordschleife bestimmen. Am Ende – und das hat sich in über 90 Jahren nicht verändert – bringt der Nürburgring seit Jahrzehnten viele Menschen zusammen, die eben genau wegen diesen Rennen kommen und diese Rennen genießen.
Betrifft dich das auch persönlich?
Ja, denn viele der Menschen, die ich als meine Freunde bezeichne, habe ich am Nürburgring kennengelernt. Wir erleben am Ring eine ganze Menge, es ist einfach großartig, in die Eifel zu fahren und mit tollen Menschen eine schöne Zeit zu verbringen. Das ist am Ende auch nur ein persönliches Beispiel zu dem freundschaftlichen und familiären Zusammengehörigkeitsgefühl, das man am Ring erleben kann. Und das, wie gesagt, gibt es am Nürburgring schon seit vielen Jahrzehnten und das haben schon Generationen vor uns so erlebt und genossen.
Aus der fernen Vergangenheit kommen wir in die Neuzeit. Nach „Nürburgring 2009“ waren es turbulente Zeiten. Wie schätzt du persönlich die Situation des Nürburgrings heute ein?
Positiv. Und das ist toll, dass der Nürburgring stabil und gut aufgestellt dasteht, vor allem, weil das in den letzten mehr als 90 Jahren nicht immer der Fall war. Es gab schon eine ganze Reihe an Krisenzeiten am Ring – das fing schon kurz nach der Eröffnung an, als der Ring hoffnungslos überschuldet war. Dann kam die Wirtschaftskrise, die den Ring von 1929/30 bis etwa 1934 gebeutelt hatte, dann der Krieg, wo garnicht klar war, ob der Nürburgring überhaupt wieder aufgebaut werden soll, dann die Sicherheitsdiskussionen und Absagen von Rennen nach dem Unglück in Le Mans und in den 1970ern, der Kampf um den Bau der GP-Strecke und letztlich natürlich noch das große Thema „Nürburgring 2009“. Während und nach jeder Krise gab es am Nürburgring Menschen, die ihr bestes dafür gegeben haben, dass die Strecke wirtschaftlich stabil bleibt und eine Zukunft hat.
Und da sind wir jetzt bei der eigentlichen Frage: Nach einigen Jahren der Unsicherheit, der wirtschaftlichen Verwerfungen und der großen öffentlichen Diskussionen geht es dem Nürburgring jetzt meiner Meinung nach sogar noch deutlich besser als vorher. Da sind viele tolle Veranstaltungen, Investitionen, Weiterentwicklungen und vor allem eine richtig gute, positive und zukunftsgerichtete Grundstimmung. Und dazu sind da Menschen am Werk, die von dieser Strecke fasziniert sind, die sich ihres Erbes bewusst sind und die sich mit dem Unternehmen und dem Namen „Nürburgring“ identifizieren und das einfach zu einem großen Teil ihres Lebens machen. Das haben wir ja grad beim Interview mit Alexander Gerhard vor Kurzem wieder wunderbar sehen können. Da ist einfach der richtige Spirit hintendran und das stimmt doch positiv für die Zukunft.
Wie bist du dazu gekommen, ein Buch zu schreiben?

Irgendwann kam bei mir einfach der Gedanke auf, all das, was ich recherchiert hatte, zentral zu sammeln und zu bündeln. Einige Jahre lang hab ich mich dann mit dem Gedanken rumgetragen, da tatsächlich ein Buch draus zu machen – und 2017 wars dann soweit. Das war für mich natürlich alles Neuland und es war ein riesen Stück Arbeit, aber ich bin froh, dass ich da drangeblieben bin. Jetzt bin ich an Band 2 dran und kann garnicht mehr erwarten, dass auch dieser endlich fertig wird und gedruckt vor mir liegt. Mir ging und geht es aber auch darum, Wissen zu teilen. Ich kann das alles für mich im stillen Kämmerlein recherchieren und zusammenstellen, dann hat außer mir aber keiner was davon und das wäre schade. So eine Gemeinschaft wie die am Nürburgring lebt auch davon, die Faszination mit anderen Menschen zu teilen und mein Buch bzw. meine Bücher sind für mich die Möglichkeit, genau das zu tun.
Wurden denn nicht schon genügend Bücher über den Nürburgring geschrieben?
Es gibt viele, viele Bücher über den Nürburgring, aber jeder Autor hat da ja seinen Fokus, seine Lieblingsthemen, seine Schwerpunkte und vor allem seine persönliche Faszination Nürburgring, die er seinen Lesern mitteilen möchte. Ohne diese Faszination kann man einfach kein gutes Buch schreiben, sonst wird das trocken und unpersönlich und tatsächlich nur eine Aneinanderreihung von historischen Ereignissen. Und auch wenn sich die Geschichte ja nicht ändert, erzählt jeder Autor diese Geschichte aus seiner Sicht mit seinen Schwerpunkten und genau das macht es ja gerade so interessant. Deswegen sind viele der Bücher auch sehr unterschiedlich und ergeben als Ganzes gesehen ein sehr breites Bild des Nürburgrings. Und mein Buch ist eben Ausdruck meiner persönlichen Faszination. Deswegen sollte es auch noch viele weitere Bücher von vielen anderen Autoren in der Zukunft geben, um dieses Gesamtbild zu bereichern.
Wir sind auf jeden Fall schon gespannt auf dein zweites Buch. Abgesehen von deiner Arbeit als Autor bist du seit einigen Jahren auch als Moderator tätig. Da triffst du Zeitzeugen, Fachleute und Rennfahrer. Was war da dein Highlight?
Also da gibts eine ganze Menge Highlights, aber besonders sticht ein Interview heraus, das ich vor zwei Wochen mit Arturo Merzario geführt habe. Jeder kennt die Geschichte von Niki Lauda, jeder hat die Aufnahmen vom Unfall und auch den Film „Rush“ gesehen, aber einen der Hauptakteure dieses Ereignisses am Mikrofon zu haben, war etwas ganz Besonderes. Gerade deswegen, weil ich durch Matthias Beckwermert, den du ja vor einigen Wochen hier auch im Interview hattest, einen persönlichen Bezug zu dem Film hab, der hat da ja auch mitgespielt. Darüber zu lesen ist eine Sache, der persönliche Kontakt dazu macht es aber nochmal tausend Mal besser.
Bernd Mayländer ist sicherlich auch eines der Highlights, ihn hatte ich letztes Jahr bei der DTM am Mikrofon. Das hat irre Spaß gemacht und war vom reinen Informationsgehalt, aber auch vom Humor her ein absolut tolles Interview. Letztendlich ist es aber auch immer wieder toll, meinen guten Freund Matthias Beckwermert in der Lounge am Mikro zu haben, wir sind da ein eingespieltes Team und haben immer viel Spaß.
Wann macht so ein Interview Spaß?
Genau dann, wenn ich merke, dass mein Gegenüber ebenfalls mit Herzblut und Leidenschaft beim Motorsport dabei ist. Das war bisher zum Glück bei allen Interviewpartnern der Fall. In dieser Begeisterung für den Motorsport sprudeln die Antworten und dann kommst du von einem Thema aufs andere und möchtest manchmal überhaupt nicht mehr aufhören. Dann ergibt das eine Gesprächsdynamik, bei der die Gäste dann gerne zuhören und das ist ja letztendlich das Ziel, dass die Fragen und Antworten für das Publikum spannend sind.
Wir sprachen nun viel über die Vergangenheit und Gegenwart. Was dürfen wir von dir in Zukunft noch erwarten?

(Lacht) Da bin ich selbst gespannt und lasse mich gerne überraschen. Also einerseits arbeite ich an dem Nachfolgeband bzw. den Nachfolgebänden von „Vor 90 Jahren“ und werde natürlich auch mit meinen Moderationen und Vorträgen weitermachen. Andererseits kommen sicherlich noch viele tolle Sachen, die sich in der Zukunft ergeben werden, von denen ich jetzt aber noch nichts weiß. Vor ein paar Jahren war ich noch „einfacher Besucher“ am Nürburgring, mittlerweile steht Buch 1 seit zwei Jahren in den Regalen der Fans, ich mache ne ganze Menge spannende Sachen und werde beispielsweise gerade von den LSR-Freunden interviewt – das alles sind Dinge, von denen ich vor ein paar Jahren auch noch nichts wusste und die sich im Laufe der Zeit ergeben haben. Wohin das noch führen wird, weiß ich nicht – ich bin aber echt gespannt. Mir macht das alles unheimlich viel Freude und freue mich natürlich immer wieder über neue Herausforderungen.
Es war auf jeden Fall sehr interessant mit dir, herzlichen Dank für deine Zeit. Wir denken zum Abschluss hast du unseren Lesern noch etwas zu verraten.
Auch vielen Dank an euch für eure Zeit! Tatsächlich habe ich noch etwas zu verraten. Die „off-season-Winterzeit“ ist ja jedes Jahr schwer zu ertragen und um diese Wartezeit etwas zu verkürzen, wird es in Kürze hier eine Kolumne über die Geschichte des Nürburgrings geben, in denen wir uns die verschiedenen Epochen mal etwas ansehen werden. Für Historie-Fans sicherlich genau das Richtige, um den langen Winter zu überstehen.
Das Buch „Vor 90 Jahren“ von Alexander Kraß kann man auf www.vor90jahren.de bestellen – jeglicher Erlös geht an das Kinderhospiz „Balthasar“ in Olpe/Westfalen. Mehr Informationen über weitere Projekte, seine Moderationstätigkeiten und seine Vorträge gibt es auf www.alexkrass.de.
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