Ulli Andree, der VLN Langstreckenmeisterschaft Gesamtsieger 2012 und – hin und wieder rückfälliger – Rennfahrer im „Ruhestand“ erlebte auch Einiges im Laufe seiner aktiven Zeit.

Der 54-Jährige erinnert sich heute an die VLN-Saison 2004. So schildert er:

2004 war eine grandiose Saison für Mühlner Motorsport, deren Volvo S60 und somit auch für mich als Fahrer. Am Ende standen zehn von elf möglichen Klassensiegen auf der Nordschleife zu Buche, acht davon inklusive des Klassensieges bei den 24h konnte ich im infernalisch brüllenden Fünfzylinder nach Hause bringen. Kopfschmerzen stets inklusive, aber das war es immer wert.

Volvo S60 Mühlner Motorsport VLN 2004
Foto: Archiv Ulli Andree

In der VLN hatte Bernhard Mühlner mich alle Läufe bis auf zwei alleine fahren lassen. Im ersten unterstützte mich Dansky Kurt Thiim, beim 6h-Rennen sollte mein alter Weggefährte Andy Middendorf den Mittelturn fahren, denn das Reglement verbot hier einen Solostart. So nächtigten Andy und ich bei Britta und Andreas Weiss im Agnesenhof zu Barweiler im Doppelzimmer.

Irgendwann lief die Dusche an und ich dachte: „Herr Middendorf ist aber verdammt früh unterwegs…“ Im selben Moment steht Andy im Bademantel vor mir – die Uhr steht auf fünf und der Grevenbroicher sieht elend aus. Dennoch hat es eine gewisse Komik, als er loshustet: „Ich kann nicht fahren, ich bin krank. Ruf den Jörg Seidel an – nur er kann dir jetzt noch helfen…“

Jörg, ehemaliger VW-Werksfahrer, war 2004 bei einigen Läufen dabei und kam gut mit dem am Limit nicht immer einfach zu fahrenden Volvo klar. Also die Handynummer rausgesucht und in Weilerswist angerufen. Es klingelt einmal. Zweimal… zehnmal. NICHTS. Also zwischenzeitlich Bernhard Mühlner aus dem Bett klingeln und schon mal vorbereiten: Bitte später im Fahrerlager als erstes Andy aus der Nennung nehmen, Jörg eintragen, Lizenz und Fahrer folgen so schnell es geht.

Zurück zu Jörg: Wenn der Jung nicht ans Telefon geht, muss der Patriarch ran. Peter, das Seidelsche Familienoberhaupt. Es ist 5.30 Uhr, ich wähle, es klingelt. Einmal.

Er: „Seidel – ich hoffe du hast einen guten Grund, mich um die Zeit…“
Ich: „Wo ist der Jörg? Der muss gleich das Quali fahren und nachher den Mittelturn. Geht aber nicht ran.“
Er: „Ich regel‘ dat, der kommt.“ – Klick

Was dann geschah, ist nur als mündliche Überlieferung von Jörg bekannt, nachdem Peter seinen in der Nachbarschaft wohnenden Sohn geweckt hatte: „Jörg – STEH AUF, der Ulli braucht dich. Und wenn Du NOCHMAL NICHT ANS TELEFON GEHST, is‘ wat los. Ach so, guten Morgen erstmal.“

Mein Telefon klingelt, Jörg ist dran – leicht verpennt: „Hier, die sechs Stunden – was kostet das denn?“ Ich: „Geht aufs Haus. Jööö-höörg, schwing die Hufe.“
Er: „Fahrerbesprechung schaffe ich aber nicht mehr.“
Ich: „Ich regele das, vergiss deine Mütze nicht.“

Um 8.00 Uhr ist das Briefing rum und ich erkläre der Rennleitung das Dilemma, Andy fährt nicht, Jörg ist auf dem Weg. Horst Golombeck nickt und ist froh, dass Jörg ein erfahrender Nordschleifenfahrer ist, der da so kurzfristig einspringen soll: „Gut. Der soll zu mir kommen, er bekommt das Briefing als Privataudienz.“

Und so begab es sich, dass Jörg frisch genannt, lizensiert und informiert pünktlich im Auto saß, um seine Qualirunde zu fahren. Den Klassensieg haben wir nach anfangs hartem Kampf gegen das aerodynamisch effiziente Kissling-Astra Coupé und die schnellen BMW M3 als Sahnehäubchen auf einem langen Tag zudem nach Hause gefahren. Es war mein erster Sieg in meinem erklärten VLN-Lieblingsrennen. Danke Jörg – oder Peter?

Ulli Andree VLN 2004
Foto: Archiv Ulli Andree

Egal ob im Fahrerlager beim Bier, beim Dienst auf dem Posten um die Strecke oder an langen Winterabenden mit Glühwein. Es gibt unzählbare Geschichten rund um den Motorsport. Einiges ist in der Tradition des „Seemannsgarn“ frei erfunden, übertrieben – vieles hat sich aber genau so zugetragen. Um ein wenig Licht in die trübe und Motorsport freie Zeit zu bringen haben wir für Euch 24 dieser Anekdoten zusammengesammelt und stellen diese bis Weihnachten vor.

Ganz gleich welche dieser interessanten Erzählungen, wir werden diese nicht nachrecherchieren oder bewerten, wir freuen uns einfach an diesen Perlen der Rennsportgeschichte und hoffen Ihr habt Gefallen daran. Herzlichen Dank an alle die sich bereit erklärt haben aus dem Nähkästchen zu plaudern!

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Dieser Beitrag wurde von verfasst.

Lutz Rodrigues Do Nascimento wurde in den 70er Jahren vom Motorsport-Virus infiziert, sein Onkel war im Porsche-Werk Weissach tätig und nahm ihn damals schon mit zu den Rennfahrzeugen. Seit 2011 ist er regelmäßig am Nürburgring bei der VLN mit der Kamera vor Ort und konnte sich somit ein Netzwerk an Bekanntschaften zu Teams, Fahrern und der Streckensicherung knüpfen. Seit März 2017 ist Lutz Teil der LSR-Freun.de und gilt als unser Draht zu den Teams und Fahrern. Mit Fotos und Stories aus den engsten Kreisen sorgt er immer wieder für staunende Gesichter.
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